„Innovative Kreislaufwirtschaft braucht politische Investitionssicherheit“

Die Kreislaufwirtschaft hat den Wandel zu einer ressourcenschonenden und energieeffizienten Wiederverwertung von Kunststoffen eigeninitiativ begonnen. Jetzt geht es darum, diesen Fortschritt zu beschleunigen. Im April 2024 hat sich die Europäische Union auf einen Entwurf einer neuen Verpackungsverordnung geeinigt, die Verabschiedung steht aus. Wir haben um Einordnung gebeten – mit fünf Fragen an Uwe Echteler, COO der Landbell Group:

Worin liegt die zentrale Herausforderung der Kreislaufwirtschaft?
„Die Kreislaufwirtschaft wird neu gedacht. Was akut jedoch fehlt, ist die Investitionssicherheit. Gesetzlich definierte sowie EU-weit einheitliche Anforderungen an Verpackungsmaterialen könnten die langfristige Nutzung neuer Technologien besichern. Auf EU-Ebene gibt den klaren politischen Wunsch, sich zu einer ressourcenschonenenden Wirtschaft zu entwickeln. Der Entwurf der europäischen Verpackungsrichtlinie liegt vor und kann ein bedeutender Schritt hierzu sein. Leider sind jedoch noch weitere Schritte erforderlich – hin zu gesetzlich verbindlichen Regelungen. Aktuell bedeutet das einen weiteren Zeitraum ohne Klarheit über den gesetzlichen Rahmen. Die Überarbeitung des nationalen Verpackungsgesetzes ist immer wieder in Aussicht gestellt worden, jedoch bis heute nicht vollzogen. Die Anforderungen an Produktverpackungen hinsichtlich Langlebigkeit, Wiederverwertbarkeit und Anteil an Sekundärrohstoffen wären absolut zielführend. Zugleich brächten diese Anforderungen tiefgreifende Veränderungen in der industriellen Herstellung von Produkten und ihren Verpackungen mit sich. Für Produzenten, die hierfür in neue Technologien und Anlagen investieren möchten, ist es entscheidend, dass diese veränderten Bedingungen möglichst lange bestehen und europaweit einheitlich gelten.“

Welchen klimaneutralisierenden Beitrag leistet die kunststoffverarbeitende Industrie?
„Trotz der nicht verbindlichen gesetzlichen Bestimmungen haben erste Unternehmen begonnen, in neue Recycling-Technologien und entsprechende Produktionsanlagen für Verpackungen zu investieren. Das gilt insbesondere für die chemische Industrie. In die Entwicklung von nicht werkstofflichen Recyclingverfahren ist bereits viel Geld geflossen. Diese Investitionen werden nicht verpuffen. Doch im Moment gleicht so ein Investment einer Wette auf angekündigte politische Maßnahmen, die besagen, dass der innovative Fortschritt zu einer klimaneutralen Aufbereitung von Verpackungskunststoffen richtig und gewollt ist.
Die Kunststoff- und Recyclingindustrie braucht jetzt dringend regulatorische Sicherheit. Es gilt, die erfolgten Investitionen im Nachhinein zu bestätigen und den begonnenen Wandel zu beschleunigen. Das chemische Recycling steht erst am Anfang einer Entwicklung die noch weiteres Potenzial besitzt. Es ist noch ein langes Stück Weg, eine Idee, die man in einem chemischen Labor bewiesen hat, technisch zu realisieren und großindustriell umzusetzen. Ich bin jedoch absolut davon überzeugt, dass chemisch recycelter Kunststoff in naher Zukunft in vielen Lebensmittelverpackungen und Produkten enthalten sein wird. In ihnen liegt ein unglaubliches Differenzierungspotenzial. Die kunststoffverarbeitende Industrie leistet mit ihren Investitionen in chemisches Recycling einen bedeutenden Beitrag zur Klimaneutralität und kann dies mit ihrer Marke verbinden.

Warum werden Konsumenten höhere Preise für Kunststoffprodukte akzeptieren?
„Das Image von Kunststoff wird sich verändern. Recycelter Kunststoff ist sinnvolles, gutes und wünschenswertes Verpackungsmaterial, das von jedem Menschen benötigt wird. Zudem holen wir den primären Kunststoff aus der Umwelt heraus, um ihn zu verwerten. Wer ein Produkt aus vollständig recyceltem Kunststoff kauft, leistet damit einen aktiven Beitrag zur Schonung von Ressourcen und zum Klimaschutz. Das Bewusstsein für diese Themen hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Ich sehe hier eine Parallele zu Bioprodukten. Ab einem gewissen Zeitpunkt waren die Menschen bereit, mehr Geld für ökologisch hergestellte Produkte auszugeben. Vermutlich wird es in der Anfangszeit, wieder vergleichbar mit den Bioprodukten, ein paralleles Angebot aus primären und sekundären Rohstoffen geben. Die sekundäre Linie wird teurer sein. Ihre Konsumenten leisten einen freiwilligen Beitrag zur Herstellung klimaschonender Kunststoffe. Und ich bin mir sicher, dass es schon jetzt eine ganz breite Schicht in der Bevölkerung gibt, die die Möglichkeit haben möchte, mit der Auswahl ihres Produkts einen Beitrag zur Nachhaltigkeit zu leisten. Ich denke, sobald wir die Möglichkeit haben, klimaneutrale Produkte zu kaufen, werden wir die Preise dafür akzeptieren. Die Menschen müssen für diese Zusammenhänge sensibilisiert werden. Gelingt uns der Umbruch, indem wir klimaneutral einkaufen können, werden wir mehr Geld ausgeben und die Industrie damit bestätigen. Denn die bislang verhaltenden Investitionen der Industrie beruhen genau auf dieser Unsicherheit, ob die Kunden die neuen Preise und Produkte auch ohne gesetzliche Grundregelung akzeptieren.“

Welche Innovationskraft liegt in der Recycling- und Entsorgungswirtschaft?
„Neue Recycling-Technologien erfordern eine neue Aufbereitung der Kunststoffabfälle. Die Entsorgungswirtschaft muss technische Lösungen beisteuern, um das Material gemäß den neuen Anforderungen zu sortieren und vorzubehandeln. Diese innovativen Aufbereitungstechnologien sind eine Voraussetzung, um der Industrie überhaupt Sekundärrohstoffe für klimaneutrale Verpackungen liefern zu können. Hier ist Kreativität gefragt – und vorhanden. Es gibt bereits außergewöhnliche Konzepte und Anlagen, die die Anforderungen an klimaneutrale Kunststoffe sowohl technologisch als auch energetisch berücksichtigen. Das ist ein neues Denken in der Planung und Umsetzung von Aufbereitungsanalgen. Bestes Beispiel ist die Sortier- und Recyclinganalage der Source One Plastics. Diese Anlage und weitere Ideen von Source One könnten mit einer weitaus höheren Dynamik und noch innovativer umgesetzt werden, wenn die Politik mehr Möglichkeiten schaffen würde. Es gibt viele vielversprechende Ansätze und wegweisende Technologien, die längst flächendeckend im Einsatz sein könnten. Die Branche durchlebt tiefgreifende Veränderungen in ihrem Verständnis von sich selbst und in der Effizienz ressourcenschonender Ansätze. Doch die fehlende Dynamik in dem Prozess behindert die Innovationskraft. Sie braucht politisch geschaffene Stabilität, um diese Entwicklungen sicherer nach vorn zu treiben.“

Was treibt Sie persönlich dazu an, den kreislaufwirtschaftlichen Fortschritt zu beschleunigen?
„Ich habe die klassische Entsorgungswirtschaft jetzt mehr als zwanzig Jahre lang im in einem nicht dynamischen Prozess erlebt. Gleichzeitig sehe ich aktuell die vielen Möglichkeiten – innovative Technologien zu entwickeln, ein massiv wachsendes Bewusstsein für Nachhaltigkeit in der Bevölkerung und auf Seiten der Inverkehrbringer sowie nicht zuletzt den politischen Willen zu einer ressourcenschonenden Gesetzgebung. Dieser Widerspruch muss aufgelöst werden. Ich sehe eine lebendige, innovative Zukunft für die Kreislaufwirtschaft vor mir, mit herausfordernden Zielsetzungen. Es gilt, die Zukunft proaktiv zu gestalten. Hierzu möchten wir als Landbell Gruppe beitragen.“

 

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17. Juni 2024